Buchstäbliches – W

Wann die ersten echten Beispiele für den Buchstaben W erschienen, lässt sich nur schwer sagen. So findet man zwar in einem in der karolingischen Minuskel niedergeschriebenen englischen Dokument aus dem frühen 12. Jahrhundert eine W-Form, bei genauer Betrachtung stellt sich jedoch heraus, dass sich dieses Zeichen aus den ersten beiden Buchstaben des Wortes „Vulnera“ zusammensetzt.

 

angelsächsisch (9.Jh.)

franz. Sakramentar (1.Viertel 11.Jh.)

engl. karoling. Minuskel (frühes 12.Jh.)

Angesichts der erst viel später klar erfolgenden Unterscheidung zwischen U und V fällt es schwer, solche Zeichenkombinationen angemessen einzuordnen. In den zwei vorangegangenen Teilen unserer Serie über diese beiden Buchstaben ist deutlich geworden, dass eine scharfe Trennung erst nach dem 15. Jahrhundert einsetzte. Das eigenständige W tauchte noch später auf, wie man an den Alphabeten in den Vorlagenbüchern der alten Schreibmeister erkennen kann. Daher müssen wir auch in diesem Fall auf die vertraute Versalkonstruktion des Initials von Dürer verzichten und auf ein Beispiel von Neudörffer aus dem Jahr 1560 zurückgreifen.

Manches deutet darauf hin, dass sich das W im englischen Raum entwickelte. Im Angelsächsischen gab es einen d-ähnlich geschriebenen Buchstaben, der für den w-Laut stand und den Namen „Wyn“ trug. Als die Schreiber der französischen Normannen – deren Volk durch die politischen Ereignisse im England des 11. Jahrhunderts zur bestimmenden Macht geworden war – nach einer geeigneten Schriftform für diesen Laut suchten, der in ihrer eigenen Sprache nicht vorkam, übernahmen sie nicht das Wyn der besiegten Angelsachsen, sondern verdoppelten einen ihrer eigenen Buchstaben, das U. So unterschied sich das neue Zeichen auch von überlappenden Paaren aus U und V – wie bei dem oben erwähnten „Vulnera“.

bömisch-gotisch (13./14.Jh.)

Textur (14.Jh.)

gotisch-lomb. Initial (14.Jh.)

Gutenberg

Caxton (1514)

Drucktextur (1514)

Garamond (1544)

Wyss (1549)

 

Wyss (1538)

Moro (um 1560)

Fugger (1555)

Wyss (1562)

London (1571)

Vielen der frühen W lässt sich die Dopplung des U beziehungsweise V noch recht deutlich ansehen. Von ihnen leitet sich auch eine noch heute gebräuchliche Schreibweise aus zwei unverbundenen V-Formen ab, wie wir sie etwa bei Garamond, Bodoni oder manchen Schreibmaschinentypen finden.

Für Verwirrung sorgt die Tatsache, dass noch in Texten der Renaissance ein doppeltes V oder U für das W zum Einsatz kam, umgekehrt aber auch das geschriebene W in manchen Bastarda-Varianten (einer Zwischenform von gotischer Buchschrift und Kursive) für den U-Laut stand. Unzweifelhaft ist, dass unser W eine verselbständigte Ligatur ist, eine zum eigenständigen Zeichen gewordene Buchstabenverbindung wie das ß (das in den gebrochenen Schriften aus langem s und z entstand, in der Antiqua aus langem und rundem s). In der 1499 gedruckten „Cronica van der hilligen Stat van Coelle“ etwa stellte der Schreiber den linken Bogen des U mit deutlichem Abstand einem weiteren U voraus, um so ein W zu bilden.

Vor der Zeit des Buchdrucks findet sich das W selten, da man die meisten Texte in lateinischer Schrift verfasste, der dieser Buchstabe fehlte. Erst nachdem auch volkssprachliche Texte weitere Verbreitung fanden, tauchte er öfter auf, wobei vor allem in Deutschland noch lange gebrochene Formen verwendet wurden. Das in der Schrift von Garamond auftauchende W blieb in der Antiqua zunächst eine Ausnahme.

Als sich das W langsam durchsetzte, schnitt man die Antiqualettern überwiegend in der Form, bei der sich die beiden V nicht überlagern, sondern in der mittleren, nach oben weisenden Spitze vereinigen. Eine Übergangsform lässt sich in jenen kursiven Varianten erkennen, in denen diese Spitze aus einer Schlaufe besteht, die die beiden Buchstabenhälften verbindet.

böhmische Inschrift (1587)

Perret (Ende 16.Jh.)

Alte Caslon, Barock-Antiqua

Bodoni, klassizistische Antiqua

Futura

fette Fraktur

Ironwood

 

Aufgrund seines späten Auftretens gab es beim W keine eigenständige Geschichte des Kleinbuchstabens, die sich wie bei den anderen Zeichen des Alphabets – meist über die karolingische Minuskel – hätte entwickeln können. So schrieb man das gemeine w einfach als Verkleinerung der Versalform. An seiner Gestalt hat sich in den letzten Jahrhunderten nichts Wesentliches verändert.