Buchstäbliches – B
Bereits die Schreiber am Nil mussten – zum Beispiel um die Namen fremder Herrscher wiederzugeben – gelegentlich den Lautwert eines Zeichens benutzen, obwohl dem von ihnen verwendeten Schriftsystem diese Zuordnung fremd war. Den Konsonanten B schrieben sie dann entweder mit dem Zeichen für Haus oder dem für Fuß.
Trotz ihrer offenkundigen Verschiedenheit (das Haus zeigt sich oft als einfaches Quadrat, der Fuß als Zeichnung eines Unterschenkels) geht der von uns gebrauchte Buchstabe auf diese beiden Zeichen zurück. Schriften aus Sinai und aus Kreta verweisen eher auf die geometrische „Haus“-Hieroglyphe und ihre handschriftlichen Nachfolger. Das semitische Bet, das gleichfalls „Haus“ bedeutet, ähnelt ebenso wie der entsprechende phönizische Buchstabe formal stark dem hieratischen Zeichen für Fuß.
Anklänge daran erhielten sich noch bis zu frühen griechischen Inschriften, bei denen das Beta aus einem senkrechten Stamm mit einem links angehefteten Doppelhaken besteht. Die unterschiedlichen Ausrichtungen all dieser Zeichen erklären sich aus den wechselnden Schriftrichtungen der Kulturen, die sie übernahmen und benutzten.
Die Griechen, in deren vollständigem Alphabet das Beta bereits an zweiter Stelle stand, gaben dem Zeichen die Grundzüge seiner noch heute vertrauten Gestalt: Auf der linken Seite ein senkrechter Buchstabenstamm, auf der rechten zwei übereinanderliegende Halbkreise. Bis in die frühe römische Zeit erschienen diese auch als Dreiecke, vor allem bei eilig ausgeführten Inschriften. Vom vierten bis zum zweiten vorchristlichen Jahrhundert waren beide Bögen besonders im römischen Schriftbereich mitunter sehr flach.
Wie alle anderen Buchstaben erhielt das B seine klassische Ausformung mit der römischen Monumentalschrift. Die Dominanz des unteren Halbkreises geht ebenso auf diese Zeit zurück wie die beiden Serifen an den Enden des Stammes und das Anschwellen der Bögen in ihrem senkrechten Verlaufsabschnitt. Diese Grundform der B-Figur sollte sich in den folgenden beiden Jahrtausenden nur noch unwesentlich ändern.
Die frühesten Formen der Minuskel kündigten sich in den lateinischen Handschriften an. Während Capitalis, Quadrata und Rustica noch relativ genau den Monumentalschriften entsprachen, begann sich bei flüchtiger Niederschrift der obere Bogen zunehmend zu verkürzen.
Vom fünften bis zum siebten nachchristlichen Jahrhundert kamen in den Unzialschriften beide Formen vor: sowohl diejenige mit ausgeprägten Doppelbögen als auch die abgeschliffene, bei welcher der obere Bogen schließlich ganz wegfiel. Ein B mit extremen, zum Teil keulenförmig erweiterten Oberlängen gehörte dann zu den charakteristischen Buchstaben der späteren Halbunziale.
Im irischen „Book of Kells“ aus dem achten Jahrhundert war das B ebenso in zwei Ausführungen vertreten wie in der angelsächsischen Minuskel, die wie spätere Schriften Versalien nur am Anfang von Kapiteln oder Sätzen kannte. Die karolingische Minuskel verwendete als Großbuchstaben einfache klassische Formen, die gotischen Buchschriften griffen dagegen auf eine Kombination mit den gotisch beziehungsweise lombardisch genannten Majuskeln zurück. Diese Mischung lässt sich bis in das 16, Jahrhundert weiterverfolgen.
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Gewisse Ausprägungen der Runenschriften, die man ebenfalls als gotisch bezeichnet und die dem B-Laut auch ähnlich aussehende Zeichen zuordnen, haben historisch mit der hochmittelalterlichen Gotik übrigens nichts zu tun.
Die Grundzüge der Gemeinen und der Versalien änderten sich im Spätmittelalter und in der Renaissance selbst durch die zunehmende Brechung der gebogenen Buchstabenelemente nur wenig. Beim großen B verwandelte sich der senkrechte Stamm zwar immer mehr in einen ausholenden, nach links hin offenen Bogen und bekam verschiedene Schmuckelemente, das Zeichen bleibt aber im Unterschied zu manchen anderen Frakturformen leicht lesbar.
Auch die aus der gotischen Textur entwickelten frühen Druckschriften und die aus der humanistischen Minuskel hervorgegangenen Antiquaschriften erfuhren keine grundlegende Veränderungen mehr, und so hat sich der Buchstabe B bis in die Gegenwart sein vertrautes Aussehen bewahrt.