Buchstäbliches – U
Unser gewohntes Initial aus der Renaissanceantiqua von Dürer weicht heute einer anderen spätgotischen Majuskel. Der Grund: Dürers „Unterweisung“ enthielt kein U. Der Meister hat es allerdings nicht einfach vergessen – das V deckte zu seiner Zeit noch weitgehend beide Buchstaben ab. Auch die hier verwendete Initiale steht für die Zeichen U und V gleichermaßen.
Die Geschichte des Buchstabens U beginnt beim Y, reicht über F und V und endet schließlich beim W. Um das Durcheinander zu klären, berichtet die nächste Folge zum Buchstaben V über die antiken Anfänge. Dieser Teil befasst sich mit der späteren Zeit, in der bereits eine Abspaltung des U vom V stattgefunden hat.
Die Griechen drückten den U-Laut durch ein Y aus, das meist einem O folgte. Zwischen den Lauten U und V unterschied man zwar bereits in der römischen Antike, das für beide verwendete Zeichen war jedoch dasselbe. Man wusste einfach, dass sich ein V an bestimmten Stellen von Wörtern mal so und mal so aussprach. Um die Verwirrung zu steigern, gab es aber durchaus U-förmige Zeichen in der lateinischen Schrift. Diese stellten entweder gleichwertige Varianten dar, kamen also neben V-förmigen Zeichen vor, oder sie standen trotz der unteren Rundung für das V.
Ihre Verwendung hing vor allem vom jeweiligen Schreibmaterial ab. Die V-Formen boten sich für in Stein gehauene Inschriften an, während die gerundeten Formen insbesondere in handschriftlichen Dokumenten vorkamen. Dies galt für die Capitalis der Buchschriften, für die zahlreichen Varianten der handschriftlichen Kursive und ebenso für die spätantiken Unzial- und Halbunzialformen.
Bis weit ins Mittelalter hinein konnten also in den Versal- wie auch in den Minuskelschriften sowohl V als auch U für jeweils beide Buchstaben stehen (so zum Beispiel „VERBUM“ in einer Handschrift des 10. Jahrhunderts und „uentus“ im „Book of Kells“ aus dem 8. Jahrhundert). In den folgenden Jahrhunderten gab es erste Ansätze zu Differenzierungen, wobei eine grammatische Vereinheitlichung, die falsche von richtigen Schreibweisen unterschied, erst in der Neuzeit stattfand.
Dieser Umstand lässt sich deutlich an frühen Lehrbüchern ablesen: Während einige – besonders bei Versalien – auf eine U-V-Unterscheidung verzichteten, führten andere die Buchstaben in der Reihenfolge V, U, W vor, so etwa Grüßbeuttels „Stymmenbüchlin“ aus dem Jahr 1534. Im dritten Buch von Dürers „Unterweisung“ findet sich nicht nur die Konstruktion der Antiqua-Versalien, sondern auch – vom l ausgehend – die der Frakturminuskeln. Ein angefügtes Versalienalphabet zeigt wiederum nur das gebrochene V, während bei den Gemeinen u und v eigenständige Formen besitzen.
Zur Abgrenzung verhalt auch ein kleiner, über dem u angebrachter Bogen. Dieser war insbesondere bei Handschriften wichtig, da die strengen Auf- und Abstriche sonst keine Differenzierung erlaubt hätten. Noch in unserem Jahrhundert gehörte dieser Haken in der Sütterlin-Schrift zum u. Der Kleinbuchstabe, mit dem man das u hätte verwechseln können, war oft allerdings nicht das v, sondern das n.
Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal, das sich in der frühen Neuzeit zum u gesellte, war ein winziges, hochgestelltes e; gekoppelt ergaben beide den Laut ü. Noch lange nachdem dieses e zwei Punkten Platz machte, ließen sich Beispiele für seine Beibehaltung finden.
Gutenbergs Textur-Repertoire hielt bei Versalien und bei Gemeinen eigenständige und gut unterscheidbare Formen für U und V bereit. In der Folgezeit setzte sich diese Differenzierung durch, wobei viele in Umkehrung der bisherigen Konventionen das U eckig und das V gerundet schrieben. Noch die frühe Renaissanceantiqua verwendete das große V und das kleine u für beide Laute. Ähnlich war es auch bei den humanistischen Handschriften. Ein halbes Jahrhundert später schon trennte die Garamond zumindest bei den Gemeinen zwischen den Zeichen u und v. Doch erst im 17. Jahrhundert setzte sich bei den gebrochenen und Antiquaschriften die U-V-Unterscheidung generell durch.