Buchstäbliches – I
In Albrecht Dürers Schrift über die Konstruktion der Antiqua-Majuskeln von 1535, der wir die Initialen dieser Serie entnehmen, folgt dem I unmittelbar das K, das J findet sich dort noch nicht. Wie uneinheitlich zu jener Zeit die schriftliche Wiedergabe des Lautes i war, lässt sich an Dürers Feststellung ablesen: „Dj Schönheit, was daz ist, daz weis ich nit, wij woll sy vil dingen anhangt.“
Das I ist geometrisch gesehen der einfachste Buchstabe des lateinischen Alphabets: nichts weiter als ein senkrechter Strich. Die Vermutung läge also nahe, diese Einfachheit habe von Anfang an bestanden. Dies ist ein Irrtum, denn das altsemitische Yodh, das für den Begriff „Hand“ stand, wies eher die Form eines Versal-Z mit mittigem Querstrich auf und behielt diese während vieler Jahrhunderte – mal zackig, mal gerundet geschrieben. Kretische und attische Inschriften aus dem 8. Jahrhundert vor Christus zeigten eine ähnliche Form, inzwischen leicht in die Länge gezogen und ohne den Querstrich. Erst bei der Wandlung in das griechische Iota wurde daraus der schlichte Strich, den wir noch heute benutzen.
Die Etrusker und die Römer fügten dem nichts hinzu. Die mit der Capitalis Monumentalis allen Buchstaben angefügten Serifen blieben dem I als Restbestand in der Folgezeit als links oben angefügter Ausläufer erhalten; Unziale, Halbunziale, Insulare und karolingische Minuskel bewahrten dieses Merkmal.
Die weitere historische Betrachtung des Zeichens wäre bei so viel Gleichförmigkeit denn auch recht langweilig, hätten sich nicht im Mittelalter zwei Veränderungen ergeben, die sowohl den Lautwert wie auch die grafische Gestalt des Buchstabens betrafen. Mittelalterliche Schriften ließen sich nicht gerade leicht lesen, spätestens mit der Entfaltung der gotischen Textur hatten die Seiten oft einen sorgfältig gepflegten, gitterförmig wirkenden ornamentalen Charakter. Ein bis zur Mittellänge reichender, durch den Ansatz der Feder oben und unten leicht angeschrägter Buchstabe, der keine weiteren Merkmale aufwies, konnte den Lesefluss leicht durcheinanderbringen.
So tauchten im 12. und 13. Jahrhundert erste zaghafte Beispiele dafür auf, das gemeine i durch ein Zusatzzeichen in Form eines Akzents stärker hervorzuheben: Der Vorläufer unseres i-Punkts war geboren. Zunächst bestand er aus einem dünnen Strichlein, das mal diagonal, mal waagerecht verlief. Im 14. Jahrhunderts erschienen dann die ersten i-Punkte in Form kleiner Kreise.
Aber damit war die Entwicklung noch nicht abgeschlossen. Die Vielzahl der Formen könnte Gegenstand einer detailversessenen Doktorarbeit sein: Mal zeigten sie sich flach, mal rund, dann wieder hakenförmig oder als kleine Bögen. In Dürers erwähntem Buch finden sich i-Punkte als kleine, rechts oben offene Dreiviertelkreise – bemerkenswerterweise aber nicht nur über dem gemeinen, sondern auch über dem Majuskel-I.
Das Versal-I als einfacher Strich passte zwar gut zu den frühen linearen Lapidarschriften, bereits die Unziale forderte aber eine stilistische Angleichung in Form des erwähnten Serifenüberbleibsels, des Hakens. Als mit den gotischen Buchschriften zunehmend eigenständige Versalformen entstanden – als also nicht länger nur römische Capitalis-Varianten in Überschriften oder an Absatz- beziehungsweise Satzanfängen verwendet wurden -, musste auch das I den formalen Wandlungen folgen. Dies drückte sich in der vielen Buchstaben eigenen Zweiteilung des Federzugs aus, verbunden mit einer zentralen, mehr oder weniger geschwungenen Achse.
Das I zerfiel auf diese Weise in einen oben links sitzenden Bogen, verknüpft mit einem senkrechten, doppelt ausgebauchten Stamm mit nach unten links gerichtetem Auslauf. Eiliges Schreiben zog bald einen energischen Schwung dieses Elements nach sich, das sich so zur deutlichen Unterlänge auswuchs. In späteren handschriftlichen oder auch gedruckten Kursivformen der Renaissance oder des Barock wucherten diese Unterlängen zu verschlungenen Dickichten virtuoser Linienführung.
Wenn der heute als J bezeichnete Buchstabe somit auch schon recht lange existierte, so war er in den ersten Jahrhunderten seines Bestehens doch nicht anderes als eine rein formale Variante des I. An dem zuvor zitierten Satz von Dürer lässt sich ablesen, dass es für i-Laute vor der Vereinheitlichung der deutschen Rechtschreibung keine eindeutige Buchstabenzuordnung ab: i, j und y traten gleichermaßen (statistisch fast zufällig verteilt) auf.
Bereits im 13. Jahrhundert finden sich Beispiele für lange i-Laute, die nicht allein durch eine einfache Verdopplung des Zeichens geschrieben wurden, sondern vielmehr durch ein Buchstabenpaar, das wir heute als i-j-Kopplung bezeichnen würden. Manchmal waren die beiden Zeichen nahezu als Ligatur verknüpft und glichen einem y, was vor allem dann merkwürdig aussieht, wenn sich darüber zwei kleine i-Striche befinden. Daneben schrieb man, beispielsweise im Französischen, auch das getrennt gesprochene Doppel-i in dieser Weise (etwa in filiis). Im Deutschen gibt es diese Buchstabenkombination heute nicht mehr, wir kennen sie allerdings aus der niederländischen Sprache.
Die deutlich unterschiedliche Verwendung der Laute i und j bildete sich erst im 17. Jahrhundert heraus. Da sowohl bei den Versalien wie auch bei den Gemeinden bereits zwei I-Varianten existierten – solche mit und solche ohne Unterlänge -, stellte die Zuordnung von Laut und Zeichen kein Problem dar.